Transformation – Gedanken zum Bild und darüber hinaus
Einleitung
Im Rahmen eines Projektforums habe ich mir verschiedene Gedanken gemacht – zum Thema Fotografie und zu ihren vielen Verbindungen, etwa zum Leben und zur Kunst.
Das Wort Kunst stammt von Können ab. Damit ist Kunst im übertragenen Sinn Wissen.
Die vergangene Projektrunde und die abschließenden Worte von Jürgen haben mich stark beschäftigt. So sehr, dass ich vergangene Nacht bis tief in die Nacht an diesem Thema gearbeitet habe. Dann kam mir die Idee zu diesem Projekt – und sie lässt mich nicht mehr los.
Mein Mentor sagte mir einmal, dass meine Fotografien oft sehr reduziert seien. Diesem Hinweis bin ich nun nachgegangen. Daraus entstanden ist eine Serie stark reduzierter, digital transformierter Fotografien – auf das Äußerste reduziert.
Die Frage, die mich dabei umtreibt, lautet:
„Ist das noch Fotografie – oder bereits etwas anderes?“
Absurdität und Wahrnehmung
In dieser Auseinandersetzung tauchte für mich der Begriff der Absurdität auf – in seiner ursprünglichen, lateinischen Bedeutung.
Das Wort surdus bedeutet taub, daraus folgt ab-surdus – weg vom Klang, aus der Harmonie gefallen.
Doch was, wenn genau das nicht der Fall ist?
Vielleicht bedeutet das Absurde nicht das Verstummen, sondern die Veränderung des Hörens.
Es wäre dann kein Bruch mit der Harmonie, sondern eine Verschiebung in eine andere Wahrnehmungsebene.
Mich interessiert, wo in der Transformation eines fotografischen Bildes die Grenze verläuft – oder ob sie überhaupt noch existiert.
Vielleicht zeigt sich das Absurde genau dort, wo Veränderung geschieht:
an der Schwelle zwischen den Welten, dort, wo das Bild aufhört abzubilden und beginnt, etwas anderes zu denken.
Das Leben als Algorithmus
Auf eine Art und Weise ist das Leben wie ein Algorithmus.
Es folgt Mustern, Wiederholungen und Anpassungen – und bleibt dennoch unvorhersehbar.
Der Algorithmus des Lebens ist dynamisch programmiert: Er entsteht aus Bewegung, Erfahrung und Bewusstsein.
So ist es auch mit der Fotografie:
Das Licht trifft auf eine Fläche, wird interpretiert, verändert, transformiert.
Das Ergebnis ist nie reproduzierbar, weil jeder Moment ein anderer ist.
Mich interessiert dieser Grenzbereich zwischen Struktur und Unvorhersehbarkeit –
zwischen dem, was sich planen lässt, und dem, was geschieht.
Über Willkür und Zufall
In der Entstehung dieser Bilder spielt Willkür eine Rolle.
Die digitale Transformation folgt keiner festen Regel, und das Ergebnis lässt sich nicht vollständig steuern.
Vielleicht ist genau das das Wesen dieser Arbeit:
Sie entsteht im Spannungsfeld zwischen Absicht und Zufall – zwischen dem, was ich entscheide, und dem, was das Medium selbst hervorbringt.
Die Frage nach Originalität wird in diesem Prozess zweitrangig.
Es geht weniger darum, etwas Neues zu erfinden,
als darum, einen Zustand sichtbar zu machen.
Jedes Bild ist Ausdruck eines Moments –
und dieser Moment ist, trotz aller Wiederholbarkeit, nicht wiederholbar.
Goethe und die Abstraktion
In gewisser Weise folge ich Goethes Gedanken.
Er verstand das, was uns begegnet, nicht als etwas Festes,
sondern als Übergang, als Prozess des Werdens.
Auch in der Abstraktion bleibt dieser Gedanke lebendig:
Sie ist kein Bruch mit der Wirklichkeit,
sondern eine Vertiefung der Wahrnehmung.
Die Auflösung der Form bedeutet hier nicht Verlust,
sondern Erkenntnis.
So wie Goethe in der Farbe den Übergang zwischen Licht und Finsternis sah,
so suche ich im Bild die Übergänge zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem.
Gedanke und Erkenntnis
Vielleicht ist es nicht das Bild, das das Besondere ausmacht,
sondern die Erkenntnis und der Gedanke, die daraus entstehen.
In diesem Kontext stehen die Arbeiten –
sie sind sichtbare Fragmente eines inneren Prozesses.
Die Themen, die darin mitschwingen – Transformation und Bewusstsein – verweisen auf eine größere Bewegung.
Die Frage ist nicht nur, wohin wir uns entwickeln, sondern woher wir uns entfernen.
Der Begriff des Fortschritts trägt diesen Widerspruch bereits in sich:
Fortschritt bedeutet, von etwas fort zu schreiten.
Vielleicht entfernen wir uns mit jeder neuen Stufe der Transformation
ein Stück weiter vom Wesentlichen.
Das Bild als Spiegel der Transformation
Und das sind eben die Bilder.
Sie sind Ausdruck dieser Gedanken –
nicht als Illustration, sondern als Form des Denkens selbst.
Jede Aufnahme, jede digitale Transformation steht stellvertretend
für die Spannung zwischen Mensch, Technik und Bewusstsein.
Die Bilder zeigen keine Antworten.
Sie sind selbst die Frage:
Was geschieht, wenn der Mensch das Sichtbare verändert
und dabei sich selbst erkennt – oder verliert?
Vielleicht liegt darin die eigentliche Aufgabe der Kunst:
nicht den Fortschritt zu feiern,
sondern ihn zu befragen.
Zum Schluss
Vielleicht sind diese Gedanken trivial.
Doch vielleicht liegt gerade darin ihr Wert –
in der Einfachheit, mit der sie uns an das erinnern,
was wir längst wissen, aber selten zulassen.
Carlos Vicente de la Plaza – zeitlichtundfarbe
Schongau, 05 Oktober 2025